Beschreibung
Bücher, Romane, können vieles, ein paar wenige schaffen es, zu beglücken. Heute um 5 Uhr bin ich aufgewacht, immer noch vergrippt und habe mir als Heilmittel die letzten zwanzig Seiten des Romans »Dius« von Stefan Hertmans verschrieben. Eine Woche lang habe ich wohldosiert ein Buch gelesen, das in vielerlei Hinsicht aus der Zeit gefallen, und gleichzeitig raumöffnend für unsere Zeit und eine kommende ist. Bereits Hertmans leuchtender Romanerstling vor vielen Jahren, »Der Himmel meines Grossvaters«, hat mich umgehauen. In »Dius«, leider mit einem nicht besonders ansprechenden Klappentext versehen, lese ich eine Geschichte über Freundschaft und Liebe, mäandernd durch die Landschaften der Kunstgeschichte, des Handwerks, des Himmels über den Poldern, ich lese über den radikalen Weg eines Kunststudenten, vom Verlangen getrieben, alles Mediokre hinter sich zu lassen, bereit, sein Leben dabei aufs Spiel zu setzen; ich lese von einem jungen Dozenten der Kunstgeschichte, der durch die Freundschaft mit Dius, dem Studenten, alles hinterfragen wird, was der orientierungslos gewordene Kunst- und Hochschulbetrieb ihn gelehrt hat und dabei immer tiefer in der Selbstgenügsamkeit des Durchschnittlichen versunken ist und versinkt. Ich lese über Menschliches und Allzumenschliches, reise mit den Figuren dieses allein in der Landschaft des aktuellen Literaturrauschens stehenden Romans durch innere und äussere Welten, liebe, esse, trinke – von allem nicht zu wenig –, verfalle der Wehmut beim Aufscheinen der Bewusstwerdung von Endlichkeit und Vergehen und dem verzweifelten Versuch, Bleibendes zu schaffen. Ich spaziere lesend durch Gärten, wandere entlang von Flüssen, reise nach Italien, wieder und wieder, in der Zeit und im Raum. Geschenkt wird mir zudem eine Reise durch die Geschichte der Kunst in den Bildern von Bronzino im 16. Jahrhundert bis in die Bildwelten Asger Jorns und Lucian Freuds in unserer Zeit. Ja, es ist ein philosophischer Roman, ja, es ist ein wehmütiger Roman, ja, es ist ein Roman des Scheiterns, und ja, es ist ein Roman der Hoffnung und der Schönheit.
